Buddhismus

Ein thematischer Beitrag von Andreas Jonda zum Freimaurer-Podcast. 

Zum Hören klick diesen Link https://frank-schmalbach.de/podcast/. Finde dort die Folge 110.

 

 

Was ist Buddhismus?

 

Immer wieder hört man etwas zum Thema „Spiritualität und Freimaurerei“ und es will mir scheinen, als würden sich manchmal die Fronten verhärten, die meiner Meinung nach vollkommen überflüssig sind, bzw. sich bei näherer Betrachtung als gegenstandslos herausstellen. Es gibt auf der einen Seite Brüder, die am liebsten alles, was nach Religion schmeckt, aus der Freimaurerei allgemein und dem Ritual im Besonderen entfernen wollen, also Begriffe wie „Tempel“, „Großer Baumeister aller Welten“, vielleicht sogar die Bibel als Buch des heiligen Gesetzes. Auf der anderen Seite gibt es Brr., die sich keine Freimaurerei vorstellen können, die auf solche Begriffe und Symbole verzichtet, weil ihnen dann die spirituelle Seite der Freimaurerei fehlen würde. Allerdings sind manche dieser Brr. doch sehr auf die Gleichsetzung von Spiritualität und Christentum fixiert, oder zumindest auf die Gleichsetzung von Spiritualität und Religion.

 

Ich möchte heute modellhaft einen möglichen Weg vorstellen, eine Spiritualität, die in meinen Augen ohne Bezüge zu einem göttlichen Wesen auskommt: den Buddhismus. Dabei ist der Buddhismus, wie wir ihn heute kennen, das Produkt einer 2500jährigen Entwicklung. Er hat unendlich viele Veränderungen erfahren, ist in zahlreichen Ländern mit unterschiedlichen Religionen in Kontakt gekommen und hat jedes Mal vorgefundene Elemente angenommen und für sich umgeformt. So hat der Zen-Buddhismus in Japan von außen betrachtet nur wenig mit dem tibetischen Buddhismus oder dem Buddhismus auf Ceylon zu tun, abgesehen vielleicht von einer Buddha-Statue, die man vermutlich in jedem buddhistischen Tempel findet.

 

Natürlich kann ich in der gebotenen Kürze heute nicht den ganzen Buddhismus darstellen, deshalb möchte ich einige Punkte herausgreifen, die meine These unterstützen sollen, dass wir im Buddhismus eine Form von Spiritualität erkennen können, die sich bewusst von Religion abgrenzt. Dabei will ich niemanden zum Buddhismus bekehren, sondern tatsächlich nur ein Modell vorstellen, wie es auch außerhalb der Religionen eine Beziehung zu etwas geben kann, das alles sinnlich Wahrnehmbare überschreitet, zu etwas Geistigem, ohne dass man einen Schöpfergott oder gar ein Pantheon von Göttern bräuchte, um diese geistige Welt zu begründen, zu verstehen.

Übrigens benutze ich den Begriff „geistige Welt“ ganz bewusst, denn „Geist“ heißt im Lateinischen „Spiritus“ und somit wird deutlich, dass sich Spiritualität auf Geistiges im Gegensatz zu Materiellem bezieht. Und das „Überschreiten“, lat. Transcendere, des sinnlich Wahrnehmbaren verweist auf den theologischphilosophischen Begriff der Transzendenz, der in diesem Zusammenhang ja häufig auftaucht.

 

Um nach diesen Vorbemerkungen aber auf meine These zurückzukommen, dass wir im Buddhismus eine Spiritualität ohne Religion vorfinden, einige Worte über die Entstehung dessen, was wir Buddhismus nennen.

 

Vor gut 2500 Jahren wurde in Nordindien ein Junge geboren, der den Namen Siddharta erhielt, den frommen Legenden nach war sein Vater ein mächtiger König, aus heutiger Sicht würden wir ihn vermutlich eher als Fürst einer Provinz bezeichnen. Dieser Junge wuchs in einer Welt auf, die von der Religion der Veden bestimmt wurde: Es gab eine große Gruppe von Göttern, die für unterschiedliche Bereiche zuständig waren, und die um Hilfe in allen Lebenslagen angerufen werden mussten. Allerdings konnten das nicht die normalen Gläubigen selbst machen, sondern sie brauchten immer spezielle Vermittler, die Brahmanen, die (gegen Geld oder Naturalien) die richtigen Gebete korrekt sprechen konnten und die notwendigen Opfergaben darbrachten. Dem religiösen Denken lagen die Ideen von Karma und Reinkarnation zugrunde. Karma ist das kosmische Gesetz von Ursache und Wirkung, nach dem jede Tat eine entsprechende Folge nach sich ziehen wird, vielleicht nicht in diesem Leben, sondern in einem späteren. Und diese späteren Leben mussten nicht unbedingt als Mensch absolviert werden, sondern je nach Karma konnte man auch als Tier oder Dämon wiedergeboren werden. Das Ziel eines guten, erfüllten Lebens war es, nicht mehr wiedergeboren zu werden, sondern seine Seele („Atman“) mit dem Gott oder dem Göttlichen („Brahman“) zu verschmelzen und dann aus dem sog. Kreislauf der Wiedergeburten befreit zu sein. Diese Befreiung wurde „Nirvana“ genannt.

 

Siddharta war mit den Antworten, die ihm die hergebrachte Religion und deren Gegner, die Samanas (oder Asketen) boten, nicht zufrieden und suchte einen eigenen Weg. Er verwarf die Methoden, die ihm die vedischen Weisen (bezahlte Gebete und Opfergaben) anboten, und auch den Weg der Samanas (Yoga und Askese) hatte er lange Zeit ausprobiert und war zu keinem Ziel gekommen.

 

Er gab diesen Weg auf und bemühte sich stattdessen, durch analytisches Nachdenken einen Ausweg aus dem Kreislauf der Wiedergeburten zu finden. Denn er hielt an der Idee von Reinkarnation und Karma fest, nur die Möglichkeit, sein Atman mit Brahman zu verschmelzen, erschien ihm nicht erreichbar. In seinem Erleuchtungserlebnis (innerhalb einer tiefen Meditation) erlangt er die Erkenntnis der sog. Vier edlen Wahrheiten:

 

1. Alles Leben ist Leiden

2. Das Leid wird verursacht von Gier

3. Es gibt eine Möglichkeit, das Leiden aufzuheben, nämlich durch das Ablegen der Gier

4. Der Weg zur Leidensaufhebung ist der sogenannte edle achtfache Pfad und besteht aus

 

1. Rechte Ansicht

2. Rechter Entschluss

3. Rechte Rede4. Rechtes Verhalten

5. Rechter Lebensunterhalt

6. Rechte Anstrengung

7. Rechte Achtsamkeit und

8. Rechte Meditation

 

Ich kann an dieser Stelle nicht vertiefen, was der seitdem „Buddha“ also „der Erwachte“ genannte Siddharta damit meinte, das würde den Rahmen eines einzelnen Spaziergangs deutlich sprengen. Ich möchte jetzt vielmehr auf unser eigentliches Thema kommen, nämlich Spiritualität ohne Religion. Denn Buddha gab seinen Schülern, die nach seiner Erleuchtung zum ihm kamen und bald eine ansehnliche Gemeinde bildeten, zwar die oben genannten Erkenntnisse weiter, er hielt zahlreiche Reden oder Predigten, die in den ersten Jahrhunderten mündlich tradiert wurden und erst relativ spät verschriftlicht wurden, aber er stiftete keine Religion. Er weigerte sich, Aussagen darüber zu treffen, ob es Götter gebe oder nicht, er lehnte auf jeden Fall Opfer und Gebete an irgendwelche Götter ab und verwies seine Jünger darauf, dass sie selbst aus sich heraus, also ohne göttlichen Beistand den Weg zur Erleuchtung, der Aufhebung des Leidens gehen mussten, zum großen Verlöschen. Seine letzten Worte auf seinem Sterbelager waren der Überlieferung zufolge „glaubt mir nichts, nur weil ich Buddha bin, sondern prüft, ob es eurer Erfahrung entspricht. Seid euer eigenes Licht.“

 

Zu seiner Erleuchtungserfahrung hatte auch die Erkenntnis gehört, dass es kein „Ich“ gibt, man könnte auch sagen, keine „empirische Persönlichkeit“, sondern vielmehr ein aus einzelnen Bestandteile (Körper, Sinnesempfindungen, Wahrnehmungen, davon ausgelöste Geistesregungen und letztlich Bewusstsein) zusammengesetztes Etwas, das wir lediglich für unser Ich halten. Da alle diese einzelnen Elemente nicht von Dauer sind, kann auch dass aus ihnen Zusammengesetzte (also unser Ich) nicht von Dauer sein, es ist vielmehr flüchtig und auf keinen Fall eine unsterbliche Seele. Wie konnte er aber an der Idee der Reinkarnation festhalten, die ja scheinbar von der immerwährenden Wiedergeburt einer einzelnen Seele ausgeht? Und auch der Mechanismus des Karma, also der zwingend erfolgenden Reaktionen auf unser Handeln, wie soll das funktionieren, wenn es gar kein Ich gibt, das Morgen oder in einem zukünftigen Leben die Früchte oder besser die Folgen unserer heutigen Taten erntet?

 

Und wenn die Seele nicht mit dem Göttlichen verschmelzen kann, was bedeutet dann das große Erlöschen, das Nirvana? Solange man Götter und göttliches Wirken als gegeben voraussetzt, stellen sich diese Fragen nicht, aber was nun?

 

Buddha verwies auf die Kontinuität des Wandels: Alles ist vergänglich, aber das ständige Werden und Vergehen, das bleibt. Auch wenn es keine unsterbliche Seele gibt, die wiedergeboren werden kann oder die Früchte des Karmas erntet, so gibt doch alles, was wir tun, einen Anstoß für weitere Entwicklungen. Wenn ich eines Tages sterben, werde nach buddhistischer Lehre nicht ich wiedergeboren, aber das, was ich in meinem Leben an Eindrücken gesammelt habe und die Taten, die ich begangen habe, seien sie gut oder schlecht, werden den Anstoß zu einer neuen Inkarnation geben, die mit dem umgehen muss, was ich hier und jetzt anlege. Also nicht ich werde wiedergeboren oder muss mit meinem gegebenenfalls schlechten Karma fertig werden, aber es verschwindet auch nicht oder löst sich in Wohlgefallen auf. Das Gesetz von Ursache und Wirkung endet nicht mit meinem Tod. Und so erklärt sich auch das Konzept von Erleuchtung: Es geht nicht darum, mit einem göttlichen Geist zu verschmelzen, sondern in diesem Leben zu lernen, im Sinne des edlen achtfachen Pfades die Gier verlöschen zu lassen, so dass ich letztlich keinen Anstoß für eine weiter Inkarnation mehr gebe.

 

So, jetzt habe ich in einem viel zu langen Parforceritt einen extrem kurzen Überblick über meine Gedanken vorgestellt, bin dem Buddhismus nicht einmal ansatzweise gerecht geworden, und habe mich nicht nur zahlloser Vereinfachungen und Unterlassungen schuldig gemacht, sondern möglicherweise auch eine sehr subjektive Sicht des Buddhismus dargestellt, die vielleicht nicht viele Buddhisten auf dieser Welt teilen. Aber ich hoffe, ich habe modellhaft eine Möglichkeit einer Spiritualität vorgeführt, in der es durchaus um Geistiges, Transzendentes geht (Leben nach dem Tod, die Frage nach der Existenz einer unsterblichen Seele, kosmische Gesetzmäßigkeiten), ohne dass dafür Götter oder göttliche Kräfte bemüht wurden.

 

Nun stellt sich die Frage ist, ob die auch in meinen Augen manchmal sehr engen, christlich fixierten Vorstellungen von Spiritualität und Transzendenz, die vielen in der Freimaurerei Unbehagen bereiten, nicht weiter gefasst werden können? Denn ich kann mir keine rein weltliche Freimaurerei vorstellen, ich halte ihre spirituellen Anklänge, und mehr ist es zumindest in unserer Großloge nicht, für wesentlich. Ich will sie nicht durch buddhistische Ideen ersetzen. Ich frage mich (und Sie) nur, ob es nicht auch eine Form von Spiritualität geben kann, mit der sich auch Agnostiker, vielleicht auch Atheisten anfreunden können. Ohne einen persönlichen Schöpfergott, an den ja jeder glauben mag, den aber zumindest ein Teil unserer Brr. nicht in unserem Ritual wiederfinden möchte, und der da auch nicht hineingehört.

 

Andreas Jonda, August 2025