Zeichnung für die Freimaurer Loge "Zum Verein der Menschenfreunde" Nr.211 im Orient Trier
Ein einzelner Punkt definiert noch keinen Raum. Er hat keine Ausdehnung. Um einen Raum zu definieren, benötigt man eine Menge von Punkten (mindestens zwei) und eine Struktur, die die Beziehungen zwischen diesen Punkten beschreibt.
Eine der notwendigen Beziehungen von Punkten im Raum ist die Zeit. Es gibt ohne Zeit keinen Raum. Und ohne Raum gibt es keine Zeit.
Wir können uns dies einfach vorstellen: Wenn es zwei Punkte gibt, gibt es einen Abstand zwischen ihnen und es braucht Zeit, diesen Abstand zu überwinden. Umgekehrt kann ich von Zeit nur sprechen, wenn es einen Raum gibt, den ich durchmessen kann. An einem einzelnen Punkt gibt es keine Zeit.
Ich stelle mir gerne den Urknall vor als Ereignis, bei dem aller Raum auf einen einzelnen Punkt zusammengestürzt ist. Wie wir gesehen haben, hört genau in diesem Augenblick der Raum auf zu existieren. Es ist damit also falsch, von einem “Punkt“ zu reden. Und auch die Zeit hört auf zu existieren – weshalb es natürlich auch falsch ist, hier von einem Augenblick oder von einem Ereignis zu sprechen. In unserer Welt gibt es keine Worte dafür.
Was war davor? Oder: Wie lange dauert es, bevor es zur großen Explosion kommt? Schon wieder Zeitbeschreibungen für einen Zustand, für den es keine Zeit gibt … Wo findet der Zusammenbruch statt? Man kann es nicht beantworten, da es ja in diesem Moment keinen Raum gibt. Erst durch den Urknall entstehen wieder Raum und Zeit …
Was bedeutet das für unsere normale Welt des Raums und der Zeit? Lange galten diese physikalischen Größen fest, als „objektiv“. Erst Einstein und dann die Quantenphysik haben diesen Glauben zerstört. Heute ist – wohlgemerkt physikalisch! – bewiesen, dass Zeit relativ zum Beobachter ist. Energie, z.B. Masse, wirkt auf sie ein. Und der Raum ist eher ein Feld von Wellen mit gewissen Wahrscheinlichkeiten für Ortspositionen. Es gibt Theorien, die auf der Quantenebene von einem „Raum-Zeit-Schaum“ sprechen.
Schauen wir jetzt in die Philosophie: Auch hier stellt sich die Frage, ob Zeit und Raum objektive Realitäten sind. Sie könnten nämlich stattdessen auch Konstrukte unseres Bewusstseins sein. Dies wäre ein Ansatz, aus dem ein relativer Zeit- und Raumbegriff folgten. So bei Immanuel Kant: Zeit und Raum existieren für ihn nur in Bezug auf unsere Erfahrungen und Wahrnehmungen. Sie sind Formen der Anschauung, mit der wir unsere Wahrnehmung der Welt strukturieren. Anders gesagt: Unsere Wahrnehmung ist immer gebunden an diese Strukturen – in diesem Fall Raum und Zeit. Nur mittels solcher Kategorien können wir überhaupt die Welt erkennen. Wie in der Physik sind also bei Kant Zeit und Raum nicht von dem beobachteten Prozess zu lösen - und existieren damit nicht unabhängig vom Beobachter.
Wenden wir uns nun als Drittes der Psychologie zu. Man ist sich hier völlig einig, dass Zeit individuell verschieden empfunden wird. Das hängt dabei eng zusammen mit der Erfahrungsdichte. Jeder von uns kennt das: Machen wir viele prägnante Erfahrungen in dichter Folge, so erleben wir diese Zeit als „kurzweilig“, was in der Erinnerung als längerer Zeitraum empfunden wird. Haben wir aber immer gleichbleibende Wahrnehmungen, aus denen kaum einmal ein Erlebnis hervorsticht, so empfinden wir diese Zeit als „langweilig“ - und im Rückblick kurz. Ein einfaches Beispiel dafür ist das Erleben eines Kindes im Vergleich zu dem eines alten Menschen. Für das Kind können vielleicht zwei Monate so viel Leben enthalten wie für den alten Menschen zwei Jahre. „So viel Leben“ ist hier identisch mit „so viel Lebens-Zeit“! So hat denn auch eine Stubenfliege, die – nach unserer Zeitrechnung – nur wenige Wochen lebt, durch ihren viel höheren Stoffwechsel und viel dichtere Wahrnehmungsfolge relativ tatsächlich ein angemessen langes Leben.
Liebe Brüder, gibt es einen praktischen Schluss, den wir daraus ziehen können?
Nun ja. Ein erster wäre sicherlich, dass wir nicht mit Verachtung auf das Leben der Stubenfliege blicken sollten.
Und ein zweiter Schluss liegt doch nahe: Wir können quasi selbst unser Leben verkürzen oder verlängern! Es wird nämlich nicht in objektiven Zeiteinheiten gemessen, sondern nur in relativen, subjektiv empfundenen. Sorgen wir also dafür, dass wir viele neue und prägnante Erfahrungen machen, so dauert unser Leben tatsächlich länger!
Lasst uns als Freimaurer offen sein für immer neue Begegnungen, neue Gedanken, neue Impulse. Im Einerlei des Lebens kommt der Tod.
Trier, im August 2024
FJF
Als Zeichnung aufgelegt am 28.02.25